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Russische Frauen: Warum sind sie eigentlich so anders?

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Russische Frauen gelten aus dem klischeehaften Blick des Westens als wahlweise hypermoderne, hochgestylte Alltagsmodels oder dralle Matronen in Strickjacke, mit bodenlangem Wollrock und Kopftuch mit Blümchenmuster. Diese beiden sehr gegensätzlichen Bilder sollen wiederum von ihrem Wohnort abhängen: In Moskau und St. Petersburg läuft die Sorte 1 mit High Heels über die Straßen, auf dem Land hingegen bewirtschaftet die Sorte 2 den altertümlichen Bauernhof. Was ist dran an diesen extremen Bildern?

Starre Vorstellungen von russischen Frauen

Es ist schwer auszumachen, warum die Bilder von Russinnen so starr in unseren Köpfen verankert sind – eine Tatsache ist dies allerdings. Mehr noch: Russische Frauen nehmen wohl in dieser Hinsicht eine weltweite Sonderrolle ein. Bestenfalls noch die Französinnen haben ein ähnlich stark geprägtes Image. Sie sollen besonders sinnlich und ebenfalls sehr modebewusst sein. Die Russinnen gelten jedoch als regelrechtes Phänomen, das nach Aussage der russischen Autorin Daria Boll-Palievskaya nicht einmal ganz unbegründet ist. Sie hat ein Buch zum Thema geschrieben und bestätigt, dass sich in der Tat russische Frauen in den Metropolen besonders gern herausputzen. Nur laufen sie eben nicht alle Tage auf 24-cm-Absätzen im Pelz und mit rotlackierten Fingernägeln über Moskauer Straßen, weil das häufig zu unpraktisch wäre. Es sitzt in ihnen aber sehr tief das Bedürfnis, besonders schön zu sein, so die Autorin.

Dabei habe sich in den letzten Jahrzehnten ihr Schönheitsverständnis geöffnet und erweitert, seit sie Zugang zur Pariser und Mailänder Mode haben. Dennoch bleibt ihr Hang zu Pelzen, Pailletten und Prunk anscheinend ungebrochen. Das hat auch etwas mit der großen russischen Tradition zu tun. Die Zarenreiche schmückten nicht nur ihre Städte mit fantasievollen Kathedralen, sondern auch ihre Offiziere mit operettenhaften Uniformen und ihre Frauen mit viel Schmuck, während der Pelz einerseits gut verfügbar und andererseits dem strengen russischen Winter geschuldet war. Nun betrachtet das Buch von Daria Boll-Palievskaya die „Innen- und Außenansicht“ russischer Frauen, was ein wirklich interessanter Aspekt ist: Welches Gemüt steckt eigentlich hinter dem Drang, sich so auffällig zu stylen?

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Styling russischer Frauen: Kontrapunkt zum historischen Bild?

Die Expertin Daria Boll-Palievskaya hat eine eigene Theorie zum auffälligen Auftritt ihrer Landsgenossinnen. Möglicherweise setzen diese einen modischen Kontrapunkt zum historischen Bild russischer Frauen, wie es die immerhin weltberühmte Literatur des Landes zeichnet. Denn während der Prunk dort an allen Ecken und Enden zutiefst verwurzelt ist (siehe oben), gestanden die klassischen russischen Autoren wie Tolstoi, Dostojewski, Turgenew, Gontscharow & Co. ihren Frauen wohl nicht besonders viel Weiblichkeit oder gar exklusive Schönheit zu. Dieses Bild bezogen sie (die Autoren) wiederum aus der eigenen Folklore, die in ihren sehr bekannten Märchen zwar zerbrechliche, aber eigentlich weniger hübsche Prinzessinnen als Protagonistinnen aufführt. Sie sind häufig sehr weise, aber nicht auffällig schön. Als Beispiel nennt Boll-Palievskaya in ihrem Buch „Wassilissa die Weise“, die mit klugen Bonmots bekannt wurde, die wir auch im Westen gut kennen.
Folglich griffen die russischen Schriftsteller dieses Bild auf und gestanden ihren weiblichen Charakteren viel Spiritualität und inneren Reichtum zu, aber keine äußeren Reize, nach denen sich der Mann auf der Straße umdreht. Auf diesen kommt es jedoch an, wenn sich eine Gesellschaft fortpflanzen und überhaupt existieren will, und hier gibt es in Russland seit über 100 Jahren ein echtes Dilemma: Seit der Oktoberrevolution 1917, gefolgt von zwei Weltkriegen und Stalins Säuberungen, wurden Männer in Russland echte Mangelware. Mitteleuropa kannte das Phänomen kurz nach dem 2. Weltkrieg, auch hierzulande machten sich Frauen in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren ganz besonders zurecht. In Russland ist die weibliche Jagd auf Männer aber inzwischen ein gefühlter Dauerzustand, weil die Botschaft seit den Urgroßmüttern bis zur heutigen Generation weitergetragen wurde: Du musst schön sein, wenn du einen anständigen Mann bekommen willst! Damit warfen russische Frauen wohl das folkloristisch geprägte und durch ihre Literatur künstlerisch verarbeitete Bild der klugen, aber äußerlich reizlosen Frau über Bord. Sie zeigen mittlerweile seit Jahrzehnten überdeutlich, was sie haben und sind auch offen für die Partnervermittlung und Kontakte aus Westeuropa. Ihrer Klugheit hat das übrigens nicht geschadet.

Das moderne Frauenbild in Russland

Russland hat das beschriebene Frauenbild in der Moderne seit den 1990er Jahren kultiviert. Es florieren dort beispielsweise Heiratsagenturen, die ihren Klientinnen einreden, dass diese einem Mann schon auf den ersten Blick gefallen müssen. Schönheit und Anmut zählen demnach viel mehr als Intellekt und Charisma. Damit können sich nach der Propaganda dieser Agenturen russische Frauen einen Mann nicht nur in der Heimat, sondern überall auf der Welt angeln – bevorzugt im reichen Westen, wo die Männer auf nichts sehnsüchtiger als auf eine schöne russische Frau warten. Diese muss reizvoll, attraktiv und am besten um einiges jünger als der westliche Heiratskandidat sein. Russische Offizielle halten diese Entwicklung für bedenklich und steuern gegen. Die Stadt Moskau etwa hat ein „Moscow Longevity Program“ aufgelegt (Moskauer Langlebigkeitsprogramm). Es kommt vom Moskauer Kulturministerium, dessen stellvertretender Direktor Vladimir Filippov betont, dass es gelte, sich um ältere Mitmenschen zu kümmern und der Jugend den Schönheitswahn ein wenig auszureden. Das Programm bietet unter anderem Workshops für Sprachen, Sport und verschiedene Hobbys an. Die Botschaft lautet: Jedes Alter hat seine Reize, Schönheit und Jugend sind nicht die einzigen Werte. Für das Programm nimmt die Moskauer Stadtregierung richtig Geld in die Hand.
Während der letzten russischen Modewoche 2023 unterstützte sie finanziell acht Labels, die mit Models von 60+ arbeiteten. Zusätzlich initiierte sie mit dem russischen Moderat (Russian Fashion Council), ein „Elegant Age Festival“, um zu zeigen, wie elegant Menschen im Alter auftreten können. Auch hier zeigte sich indes, dass vor allem Frauen begierig die offerierten Mode- und Stylingtipps aufgreifen, weil sie ihr Aussehen nach wie vor für maßgeblich halten. Modejournalistinnen und Stylisten haben dementsprechend in Russland ein sagenhaft gutes Standing.

Moskau als fünfte Modehauptstadt der Welt?

Das Interesse an Mode und Kosmetik ist in Russland so groß, dass Vladimir Filippov seine Heimatstadt Moskau bereits als „fünfte Modehauptstadt der Welt“ ausruft, die demnach in einer Reihe mit Paris, Mailand, New York und London steht. Wer den Besucherandrang auf russischen Fashion Events beobachtet, mag dem tatsächlich zustimmen. Die Veranstaltungen sind in der Regel restlos ausverkauft, modernste Modehits zeigt nicht nur der Laufsteg: Auch die Besucherinnen kleiden sich dem Anlass entsprechend und fotografieren einander. Der Stil ändert sich allerdings in jüngster Zeit. High Heels sind ebenso selten zu sehen wie kurze Röcke, der berüchtigte flamboyante Stil russischer Frauen hat offenbar ausgedient. Der Modeschöpfer Alexander Arutyunov bezeichnet seine Landsfrauen als „sportiv und leger“, dementsprechend gestaltet er seine Kollektionen.
Seine Kollegin Alena Akhmadullina schreibt den modernen russischen Frauen eine Vorliebe für Minimalismus zu, gesteht aber, dass eine Minderheit immer noch Unsummen für Goldschmuck und Pelze ausgibt. Dem tragen russische Designer in Teilen sogar Rechnung. In ihren Kollektionen finden sich punktuell auch farbige Pelzmaterialien, darüber hinaus greifen sie die Tradition des Landes mit reichen Stoffen, Stickereien und vielerlei Mustern auf. Gleichzeitig folgen sie westlichen Ideen, indem sie die Silhouetten zeitgemäß und locker fließen lassen oder wahlweise mit geradlinigem Leder moderne Akzente setzen. Damit brechen sie das oben beschriebene Klischee von russischen Frauen auf. Die Symboliken ihrer Heimat verleugnen sie aber nicht. Sie zitieren sie mit Stickereien, die russische Märchenmotive oder sogar die sowjetrussische Raumfahrt aufgreifen.

Weibliche russische Street Wear

Auf der Straße zeigen sich russische Frauen tatsächlich sehr sportiv. Sie tragen Flats und Jacketts auch auf den Moskauer Prachtstraßen und in den In-Restaurants, ihre Finger schmücken bestenfalls dezente Ringe. Im Garage Museum besichtigen sie zeitgenössische Kunst in klobigen Sneakern und weiten Culottehosen, über die Schultern legen sie im Winter einen dicken Wollschal. Ihre übergroße Clutch klemmen sie lässig unter die Arme. All das gehört zur neuen russischen Street Wear, die einen unkomplizierten und immer noch sehr jugendlichen Stil verbreitet. Die konservative und explizit sehr weibliche Mode tragen eher die älteren Moskauerinnen. Der Stil auf der Straße überschreitet bisweilen allerdings auch Grenzen, die im Westen längst respektiert werden. Das wäre etwa die Kombination von glamourösen Roben, riskanten Minikleidern und hohen Hacken. Diese ist aber nur punktuell zu beobachten. Dominierend sind praktische Daunenjacken und lässige Wollmäntel.
Was in Russland offenbar fehlt, ist ein Unwillen, überhaupt an Modetrends teilzunehmen. Dafür sind beispielsweise einige deutsche Frauen berüchtigt. Russinnen mögen Mode und bezahlen recht viel für sie. Das könnte nach Auffassung der Autorin Daria Boll-Palievskaya nicht nur historische Gründe haben, sondern auch mit der ungewissen Lage des Landes zusammenhängen. Es führt gerade Krieg und hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ganze Reihe von Krisen durchleben müssen. Da leben die Menschen gern im Jetzt und Hier, zumal in Russland finanzielle Rücklagen eine weitaus kleinere Rolle als im Westen spielen.

Was sagt all das über die russische Frau?

Die russische Frau ist sich ihrer Rolle als Schönheitsideal durchaus bewusst und unterstützt sie mit modischen Statements. Dieses Rollenverständnis integriert sie auch in ihr Verhältnis zum Mann. Eine echte westliche Emanzipation braucht sie und lebt sie nicht. Daraus resultiert ein bemerkenswerter Gegensatz zwischen auffälligem Outfit und hohem inneren Anpassungsvermögen. Männer, die mit einer russischen Frau leben, können sie dementsprechend vorzeigen und sich dennoch auf ihre Loyalität voll und ganz verlassen.
Europäische Männer kennen aus ihrer Heimat vielfach das Gegenteil: Manche Frauen treten in modischer Hinsicht eher sehr unauffällig auf, erweisen sich aber in Konflikten als äußerst hartnäckig bis sogar kratzbürstig. Den Anspruch auf Gleichberechtigung haben sie mit der Muttermilch eingesogen, Feminismus gehört zu ihrer Alltagskultur. Das kann bekanntlich schnell anstrengend werden und wirkt nur selten sexy. In dieser Hinsicht scheinen russische Frauen ihren westeuropäischen Geschlechtsgenossinnen überlegen zu sein.

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