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Die Seeger Chronik – Geschichte einer Ledermanufaktur

Am 11. November gründet Karl Seeger in Offenbach in der Geleitstraße 62 seine Werkstatt zur Herstellung von Reise- taschen. Ihm stehen ein Lehrling und seine Frau zur Seite. Die Blütezeit des Handwerks ist vorbei. Trotzdem setzt Karl Seeger der Massenfertigung handwerkliche Qualitäts- arbeit entgegen. Er vergrößert seinen Betrieb auf nunmehr fünf Gesellen und drei Lehrlinge.
Der spätere Mitinhaber und Schwiegersohn von Seeger, Otto Scharpf, tritt als Lehrling in das Unternehmen ein. Als erste Firma in Offenbach richtet Karl Seeger einen aus drei Personen bestehenden „Betriebsrat“ ein. Seeger ist auch der erste Unternehmer in Offenbach, der seinen Be- schäftigten am 1. Mai Arbeitsruhe einräumt und für geleis- tete Überstunden einen um 25 % erhöhten Lohn bezahlt. Zunehmende Aufträge erfordern eine Vergrößerung des Betriebes. Karl Seeger verlegt den Betrieb in ein zweige- schossiges Gebäude in der Kaiserstraße 32. Die Belegschaft umfasst jetzt 17 Beschäftigte. Im selben Jahr wird der spä- tere Inhaber Friedrich Emmerling eingestellt. Der Betrieb wird in die Karl Seeger A. G. umgewandelt. Die Hauptak- tionäre sind Karl Seeger und sein Sohn.
Das Werksgelände in der Kaiserstraße 32 wird um das angrenzende Nachbargrundstück erneut erweitert. Die Firma Karl Seeger feiert ihr 25-jähriges Jubiläum. Friedrich Emmerling wird zum Direktor der Firma Seeger bestellt. Die Zahl der Beschäftigten steigt auf 39 an.
Die Frau Karl Seegers, die von Anbeginn für die Qualitäts- kontrolle der Seeger Gepäckstücke zuständig war, zieht sich aus dem Familienbetrieb zurück.

In der Werkstatt Seeger wird Design zu Kunst erhoben. Der Künstler Hugo Eberhardt entwickelt die klare, puristische Designlinie, die später zum Vorbild aller Seeger Modelle wird. Zum ersten Mal stellt die Firma Seeger auf einer Gewerbeleistungsschau des Deutschen Werkbundes in München ihre Lederkoffer und Reisetaschen aus.
Am 22. Dezember stirbt Karl Seeger. Sein Sohn und Schwiegersohn Otto Scharpf werden Teilhaber des Betrie- bes. Der bisherige Direktor Friedrich Emmerling wird alleiniger Geschäftsführer.
Auf Drängen ihrer Kundschaft stellt Seeger zum ersten Mal auf der wichtigsten Handelsmesse in Deutschland, der Leipziger Frühjahrsmesse, aus. Die saubere sattlermäßige Verarbeitung der Stücke findet Anerkennung und Bewun- derung. Von da an präsentiert sich Seeger auf allen großen Messen und Gewerbeschauen.
Der Schwiegersohn Friedrich Emmerlings, der aus Milwaukee stammende Fritz Johl, tritt als Mitarbeiter in das Unternehmen ein. Er wird kurze Zeit später zum Pro- kuristen ernannt.
Nachdem schon der Sohn Karl Seegers verstorben ist, stirbt am 30. Oktober auch sein Schwiegersohn und Mitinhaber Otto Scharpf. Somit sind aus der Familie nur noch die Witwe und die Tochter Karl Seegers übrig, die Teilhaber an dem Traditionsunternehmen sind.
August Thierhoff, späterer Geschäftsführer von Seeger, tritt in das Unternehmen ein. Professor Ludwig Enders wird künstlerischer Berater der Seeger Manufaktur und hat an der weiteren Design- entwicklung maßgeblichen Anteil.
Für die hohe Kunstfertigkeit bei der Herstellung seiner Lederwaren erhält Seeger auf der Pariser Weltausstellung
den „Grand Prix“. Aus der A. G. wird eine GmbH, deren Gesellschafter Friedrich Emmerling, die Erben Karl Seegers und Fritz Johl werden. Auf dem Gelände der Luisenstraße 51 entsteht ein neues, 1.500 m2 großes Fabrikgelände. Das bisherige Fabrikgebäude in der Kaiserstraße 32 wird zum Verkaufsgeschäft umge- staltet. Der Kunstprofessor Ludwig Enders entwirft das Firmensymbol von Seeger – den in einen Stier verwandelten Zeus, auf dessen Rücken Merkur, Gott des Reisens und des Handelns, ein Gepäckstück symbolisch in die Welt hinausträgt –, das vom Offenbacher Bildhauer Ernst Unger über dem Eingang des Geschäftes in Stein gemeißelt wird. Im selben Jahr stirbt auch die Witwe von Karl Seeger.
Im Jahr seines 50-jährigen Bestehens liegt das Traditions- unternehmen nicht mehr in familiären Händen. Friedrich Emmerling erwirbt nun auch die letzten Anteile der GmbH und macht seinen Schwiegersohn Fritz Johl zum Mitinhaber und alleinigen Geschäftsführer. Der Italiener Guido Mescoli, Schwiegersohn des Kaufmanns und späteren Prokuristen August Thierhoff, wird der erste Auslandsvertreter der Firma Seeger.
Fünf Wochen vor Kriegsende werden das Geschäftshaus in der Kaiserstraße und das Werksgelände in der Luisenstraße nahezu vollends zerstört. Die Belegschaft beginnt schnell mit dem Wiederaufbau, sodass in nur kurzer Zeit die Pro- duktion von Lederkoffern und Reisetaschen wieder aufge- nommen werden kann. Nach dem Tode Friedrich Emmerlings ist nun Fritz Johl alleiniger Inhaber. Er bestellt den bisherigen Prokuristen August Thierhoff zum Geschäftsführer. Der wiederum beauftragt Guido Mescoli mit der Einrichtung der ersten Auslandsfiliale.

Unter der Ägide von Fritz Johl gelangt Seeger schnell wieder zu internationalem Ruhm. Auf der Expo in Brüssel erhält das Unternehmen für den exzeptionellen Standard seiner handwerklichen Fertigung erneut eine Goldmedaille. Die Söhne Fritz Johls sind nun Inhaber der Firma Seeger. Sie übernehmen den Betrieb in einer Zeit, in der Verkaufs- umsätze für Lederwaren stagnieren. In einem von Massen- fertigung geprägten Markt besinnen sie sich auf den Ursprung des Unternehmens und entschließen sich, ihr Reisegepäcksortiment auf die Individualisten unter den Reisenden auszurichten. Damit leiten sie eine völlig neue Ära in der Firmengeschichte ein.
In der Nähe der französischen Pyrenäen, in einem kleinen Ort mit unberührter Natur und optimalem mildem Klima entdecken die Johl-Brüder ein Leder von unvergleichlicher Beschaffenheit. Tiefschwarzes, feinstes Lammnappa, das nach einem streng gehüteten Verfahren mehrere Wochen in alten Eichenfässern sorgfältigst gegerbt wird. Dieses Material, das auf seine Weise so edel, so einzigartig wie Kaschmir ist, gibt der Marke von nun an ihr ganz besonderes Gesicht.
Auf der Offenbacher Lederwaren-Messe stellt Seeger zum ersten Mal die neue Business- und Reisegepäck-Kollektion „Classic Collection“ vor. Die Firma Seeger bezieht eine neue Manufaktur in Bieber- Waldhof. Dort befindet sich auch heute noch der Firmen- sitz.
Ein neuer Attaché-Koffer erregt die Aufmerksamkeit der Branche. Seeger präsentiert ein Modell, dessen Kofferschloss seine Energie aus Solarzellen bezieht. Besonders in den USA und in den Ländern der Golfregion entwickelt sich das Modell zu einem Verkaufsschlager.

Das Traditionsunternehmen feiert sein 100-jähriges Jubiläum. Aus kleinen Anfängen heraus hat sich Seeger zu einer Firma von Weltruf entwickelt. Zur Kundschaft gehören Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Kultur.
Eines der größten Luxuskonglomerate der Welt, die Vendôme Luxury Group, heute Richemont, übernimmt für ihre Tochter Montblanc die Seeger GmbH mehrheitlich. Damit gehört Seeger nun einer Gruppe exklusiver Marken an, die eine vergleichbar anspruchsvolle Produktphilosophie vertreten: die besondere Güte der verwendeten Materialien, die über viele Jahrzehnte gepflegte Handwerks- kunst und der ästhetische Anspruch an klassische zeitlose Produkte. Als Ausdruck ihrer Kompetenz auf dem Gebiet der Ledermanufaktur und als Symbol für die unvergleich- liche Weichheit des Leders, das Kenner mit Kaschmir vergleichen, fügt Seeger dem Firmenlogo den Claim „Cashmere in Leather“ hinzu.
Die steigenden Luxusansprüche verlangen nach einer besonderen Präsentation. Seeger beginnt, in den Metro- polen der Welt eigene Boutiquen in exklusiven Lagen zu eröffnen.
Seeger wird innerhalb der Montblanc-Gruppe zum welt- weiten Kompetenzzentrum für Lederwaren. Seeger wird wieder unabhängig. Die Marke startet ihren Relaunch im Juni und stellt auf der Internationalen Leder- waren Messe Offenbach zum 120-jährigen Firmenjubiläum ihre erste Kollektion vor.

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1 Kommentar

  • Antworten Schäfer 20. März 2023 um 13:46

    Sehr interessanter Artikel. Gibt es noch Informationen über den Gründer, Karl Seeger, und seine Familie?

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